Wenn ich erzähle, dass ich Mathe studiert habe, gibt es eine Hand voll typischer Reaktionen: Erstaunen: „Wie kann man nur Mathe studieren?!“ Bewunderung: „WOW. Mathe. Das ist bestimmt schwer.“ Bezug auf eigene Erfahrungen oder Fähigkeiten: „In Mathe war ich immer schlecht.“ Oft werde ich auch gefragt: „Was macht man denn mit Mathe im Beruf, wofür braucht man das???“
Nach dem Mathestudium wusste ich nicht, was ich mit meinem Abschluss anfangen soll. Ich hatte das Gefühl nichts gelernt zu haben, was sinnvoll in der Arbeitswelt einzusetzen ist. Was für Fähigkeiten wir Mathematikerinnen und Mathematiker mitbringen und wie wertvoll diese für die Wirtschaft sind, ist mir erst später bewusst geworden. Diese Erkenntnis möchte ich in meinem Artikel weitergeben und einen Einblick geben, bei welchen Aufgaben ich meine Fähigkeiten bei intersoft einsetze.
Wozu Mathematik?!
Im Studium lernen wir sehr viel abstraktes Zeug. Es ist falsch, dass wir den ganzen Tag mit Zahlen zu tun haben. Algebra, Algorithmen, Analysis, Geometrie, mathematische Logik, Numerische Mathematik, Topologie, Stochastik, Zahlentheorie … Tatsächlich sehen wir im Studium wenige Zahlen und die meisten Mathematikerinnen und Mathematiker können noch nicht einmal gut rechnen.
Da Mathematik insgesamt sehr theoretisch ist, ist es schwer greifbar, was man damit anfangen kann. Später wenden wir tatsächlich nur wenig von dem harten mathematischen Wissen an, welches wir im Studium gelernt haben. Klar ist es von Vorteil, wenn wir nicht bei jedem Summenzeichen, Variablen mit mehreren Indizes oder Iterationsvorschriften wegrennen und uns Formeln nicht abschrecken. Mit solchen Dingen umzugehen, ist das Handwerkszeug, das wir gelernt haben.
Viel wichtiger finde ich persönlich aber die Fähigkeiten, die wir durch unser Mathematikstudium mitbringen. Gewisse Begabungen sind schon vor dem Studium in uns, sonst hätten wir uns erst gar nicht dafür entschieden, Mathe zu studieren: logisches Denken, analytisches und abstraktes Denkvermögen, Freude am Lösen von Problemstellungen und Aufgaben.
Diese und noch weitere Fähigkeiten werden durch das Studium noch weiter ausgebaut. Wir brauchen eine Menge Disziplin, Frustrationstoleranz und Durchhaltevermögen, um das Studium überhaupt zu schaffen. Im Mathe-Leistungskurs warst du immer der oder die Beste? Plötzlich musst du dich daran gewöhnen, allenfalls Mittelmaß zu sein, alle anderen sind im Schnitt genau so gut wie du. Die Aufgaben, die selbständig gelöst werden müssen, sind knifflig und lassen sich nicht einfach so runterrechnen, wie das in der Schule noch der Fall war. Das Arbeiten in Arbeitsgruppen wird zum Lösen der Aufgaben empfohlen und gefördert, Teamfähigkeit wird also geschult. Dennoch muss jeder und jede kontinuierlich am Ball bleiben, um mitzukommen. Durch die Aufgaben lernen wir, wie man an Probleme herangeht, diese zu analysieren und eine Lösung zu finden. Wir lernen auch messerscharfe Logik durch Beweistechniken, die tatsächlich auch im Alltag hilfreich ist. Außerdem lernt man im Studium, sich präzise auszudrücken. Theorem, Satz, Beweis, Implikationen, Äquivalenzen. Alles muss exakt und eindeutig sein. Programmierpraktika sind zumeist Pflicht, ein technisches Grundverständnis ist bei Mathematikerinnen und Mathematikern vorhanden. Und da diese Fähigkeiten so allgemeingültig und in vielen Bereichen nützlich sind, können Mathematikerinnen und Mathematiker sich fast überall einbringen. Wir sind Generalisten.
Was mache ich bei intersoft?
Bei intersoft arbeiten wir Mathematikerinnen und Mathematiker klassischerweise als Business Analystinnen bzw. Business Analysten („BAs“). Ich selbst bin im Produktbereich von „Leben“ (Lebensversicherung) tätig. In unserem Team arbeiten wir am Rechenkern, in dem unter anderem die Kalkulation eines Versicherungsvertrags bei verschiedenen sogenannten „Geschäftsvorfällen“ vorgenommen wird. Ein Versicherungsvertrag kann viele Änderungen „durchmachen“. Er kann beitragsfrei gestellt werden, gekündigt werden, manche Kunden möchten weniger Beitrag zahlen, andere ihre Versicherungssumme erhöhen. Wir BAs müssen diese Änderungen konzipieren, das heißt, wir erarbeiten, was mit dem Vertrag bei Geschäftsvorfällen wie einer Beitragsfreistellung oder einem Storno passiert. Dabei klären wir BAs die Anforderungen mit dem mathematischen Fachbereich unseres Mutterkonzerns, der WWK („WWK Lebensversicherung a. G.“) in München. Wir erhalten Anforderungssteckbriefe oder Geschäftspläne, mit denen wir uns auseinander setzen. Bei Unklarheiten setzen wir Meetings mit der WWK an, kurze Fragen können auch in unseren regelmäßigen Austauschterminen beantwortet werden. Wichtig ist natürlich, dass alles richtig kalkuliert wird, der Vertrag nach der Änderung einen validen Zustand hat und der Geschäftsvorfall das tut, was er soll. Die Beschreibung erfolgt in unseren Konzepten, die wir zunächst mit der WWK abstimmen. Gegebenenfalls müssen dann mehrere Schleifen gedreht werden, bevor die Dokumente von der WWK abgenommen werden.
Danach können die Entwicklerinnen und Entwickler die Geschäftsvorfälle an Hand unserer Konzepte in unsere Software übersetzen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen wir einerseits die Mathematik verstehen, die hinter der Kalkulation steckt, andererseits aber vor allem auch das System begreifen, in dem der Versicherungsvertrag abgebildet und die Geschäftsvorfälle umgesetzt werden. Wir BAs sind sozusagen das Bindeglied zwischen dem mathematischen Fachbereich und der IT-Abteilung der WWK.
Und was gehört noch dazu?
Neben unseren Kernaufgaben, Anforderungen bei der WWK zu erheben, zu klären, aufzuschreiben und an die Entwicklerinnen und Entwickler zu übergeben, gibt es noch eine Reihe weiterer Aufgaben, die im beruflichen Alltag auf uns zukommen:
Wir machen regelmäßig Übergabetermine an unser Entwicklerteam, bei denen wir genau erklären, was in der Umsetzung gemacht werden muss und worauf bei der Implementierung zu achten ist. Unterstützung beim Testen durch uns BAs wird gerne gesehen: Wir machen uns Gedanken über Konstellationen, die getestet werden müssen. Um alle Szenarien, die vorkommen können, ausreichend durch Tests abzudecken, müssen wir also im Kopf alle möglichen Fälle durchspielen. Entweder schreiben wir selbst Tests oder geben konkrete Hinweise an die Entwicklung weiter. Arbeiten im Pair mit einer Person aus der Entwicklung ist ebenso eine Möglichkeit.
Im Produktsystem betrachten wir in erster Linie nur den Produktkern, von dem allerdings das ganze Umsystem abhängt, was wir oft in unserer „Produkt-Bubble“ nicht mitbekommen. Manchmal muss aber auch diese Abhängigkeit von uns erkannt und berücksichtigt werden, vor allem wenn wir Dinge plötzlich anders abbilden als sonst, sodass der Ansatz ggf. nicht „out of the box“ funktioniert. Dann müssen Meetings angesetzt werden; wir müssen dafür zunächst herausfinden, wer alles beteiligt ist und zu einem Termin einladen. Gemeinsam muss dann geschaut werden, wie man den Sachverhalt am besten abbildet und was von den einzelnen Teams zu tun ist. Wer das Ganze zu wann umsetzt und wer zum Schluss für den Test verantwortlich ist.
Bei intersoft steht es uns offen, auch selbst zu programmieren. Diese Möglichkeit nutze ich sehr gern. Zum einen mag ich Programmieren, zum anderen liebe ich die Abwechslung neben dem Schreiben der Konzepte auch selbst mal Hand anzulegen. Ich mag es außerdem, das zu testen, was ich implementiert habe und freue mich, wenn sich die Tests gemäß meiner Erwartungen verhalten. Damit nehme ich hier bei intersoft eine sogenannte „hybride Rolle“ ein, meine Arbeit besteht also aus einer Mischung aus Softwareentwicklung und Konzeptarbeit. Ob wir BAs bei intersoft coden wollen, ist uns allerdings selbst überlassen. Viele BAs programmieren gar nicht. Durch unseren fachlichen Input sind wir jedoch für die Entwicklung stets eine große Hilfe.
Was passiert, wenn sich die Software doch anders verhält, als die WWK erwartet?
Das passiert leider oft. Solche Fehler kommen dann bei uns als sogenannte „Tickets“ auf den Tisch. Diese werden durch die Entwicklung oder durch uns analysiert. Wir müssen überlegen: Was ist die Ursache des Fehlers? Haben wir einen Fehler im Konzept, sodass ein Sachverhalt entsteht, der mathematisch nicht korrekt ist? Dann muss man sich mit dem Fachbereich der WWK einigen bzw. klären was denn eigentlich richtig ist. Oder gibt es einen Fehler in der Software? Dies muss dann eine Entwicklerin oder ein Entwickler untersuchen. Oft muss das Szenario aus dem Test erst mal „nachgestellt“ werden, was ganz schön aufwändig sein kann, wenn man eine ganz bestimmte Konstellation hat, bei der das ungewünschte Verhalten zum Tragen kommt. Manchmal ist der WWK auch ein Fehler im Testen unterlaufen und das Fehler-Ticket kann verworfen werden. Oder die Weiterverarbeitung dessen, was das Produktsystem liefert, klappt nicht und das Ticket muss an ein anderes Team weitergeleitet oder gemeinsam gelöst werden. Es gibt viele Möglichkeiten, was die Ursache und Lösung eines solchen Tickets ist.
Aufgaben und Korrekturen müssen von unserem „Product Owner“ gemeinsam mit der WWK eingeplant werden. Für die Priorisierung und Aufwandsschätzung ist wieder unser Input gefragt: Bei neuen Funktionalitäten liefern wir BAs Input: Was muss getan werden, um diese Funktionalität umzusetzen? Die Entwicklung kann an Hand dessen schätzen, „wie teuer“ die Umsetzung ist, also wie viel Entwicklungsaufwand dahinter steckt und wie lange die Umsetzung dauern wird. Mit diesen Eingaben kann dann geplant werden, zu wann die WWK mit der Funktionalität rechnen kann. Bei Fehlern müssen wir häufig analysieren: Welche Art von Verträgen sind betroffen? Die WWK schaut dann, wie viele solcher Konstellationen überhaupt existieren. Wie aufwändig eine Korrektur ist, kann die Entwicklung einschätzen. Danach kann das Ticket priorisiert und eingeplant werden.
Genereller Fokus liegt bei uns im Allgemeinen auf der Zusammenarbeit. Jede Aufgabe wird von einem 2. Augenpasst gereviewt, also qualitätsgeprüft. Wir zeigen uns gegenseitig unsere Arbeit und sichern dadurch Inhalt und formale Gestaltung ab. Dadurch wird zum einen die Qualität gesichert, zum anderen das Wissen verbreitet und die Zusammenarbeit gefördert. Außerdem überlegen wir gemeinsam, wie wir die Konzepte verbessern können, sodass sie verständlicher oder exakter werden.
Die Zusammenarbeit im gesamten Team, also auch mit den Entwicklern und Entwicklerinnen wird zudem durch regelmäßige Teamtermine wie Retrospektiven („Retros“) oder unsere Dailies gefördert. Diese sorgen für kontinuierliche Verbesserung und Transparenz.
Wie hilft mir das Studium bei den Aufgaben?
Durch unser abstraktes Denkvermögen können wir Mathematikerinnen und Mathematiker Prozesse analysieren und modellieren; bei intersoft ganz konkret wie ein Versicherungsvertrag und dessen Lebenszyklus in unserer Software abgebildet wird und wie wir neue Anforderungen darin abbilden.
Unser technisches Verständnis und präzise Ausdrucksweise hilft uns bei der Übersetzung der fachlichen Anforderung in die Konzepte, die von unseren Entwicklerinnen und Entwicklern in Software gegossen wird.
Wie viele andere Mathematikstudierende habe ich mich im Studium für Informatik als Nebenfach entschieden, also waren Grundkenntnisse in der Programmierung vorhanden, was mir bei der Implementierung hilft.
Beim Lösen von Fehler-Tickets hilft uns unser analytisches Denkvermögen. Durch die erworbene Frustrationstoleranz verzweifeln wir nicht sofort, falls Probleme auftauchen, sondern suchen strukturiert nach Lösungen.
Wenn mal mehrere Schleifen in der Konzipierung gedreht werden müssen, weil sich z. B. Anforderungen ändern oder wir etwas missverstanden haben bei der Anforderungserhebung, sodass wir eine Vielzahl von Konzepten erneut anpassen müssen, hilft uns Durchhaltevermögen und Disziplin.
Die im Studium erworbene Teamfähigkeit hilft uns beinahe überall: beim gemeinsamen Erarbeiten von Lösungen, den Übergaben an das Entwicklerteam und bei der Sicherung und Verbesserung der Qualität unsere Konzepte.
Mathematikerinnen und Mathematiker sind vielfältig einsetzbar
Mathematikerinnen und Mathematiker können sich überall reindenken und Fragestellungen analysieren. Deswegen sind wir vielfältig einsetzbar. Von der eigentlichen Fachlichkeit benutzen wir im beruflichen Alltag wenig, allerdings ist mathematisches Verständnis für die versicherungsmathematische Kalkulation notwendig. Unsere weiteren Fähigkeiten helfen uns bei den Herausforderungen, die die Tätigkeit als Business Analystin oder Business Analyst bei intersoft mitbringt.
Mir persönlich gefällt die Mischung der Aufgaben, die mir als Business Analystin täglich begegnen. Ich fühle mich weder überfordert, noch unterfordert aber manchmal herausgefordert, was für mich ideal ist. Und ich kann mich immer auf meine Kolleginnen und Kollegen verlassen.
Über die Autorin:
Ich bin Anne und arbeite bei intersoft als Mathematikerin bzw. Business Analystin.
Aufgewachsen im Landkreis Stade bin ich fürs Mathematikstudium 2002 nach Göttingen gezogen. Nach dem Studium zog es mich im Jahre 2010 wieder zurück in den Norden, nach Hamburg, wo ich an der Technischen Universität in Ingenieurwissenschaften promoviert habe. Seit 2019 bin ich bei intersoft, meinem ersten Arbeitgeber außerhalb des universitären Umfelds.
In der täglichen Arbeit liebe ich es Strukturen und Probleme zu analysieren, eine Lösung zu erarbeiten und vollständig zu durchdenken.
Ich wohne mit meinem Mann und zwei Kindern in Hamburg-Eimsbüttel. Als aktives Mitglied bei den Parents for Future und foodsharing setze ich mich ehrenamtlich für Klimaschutz und gegen Lebensmittel-verschwendung ein. Ich mag es viel unterwegs zu sein, ob auf Reisen oder bei Aktivitäten mit meiner Familie oder Freunden. Beim Yoga und Joggen finde ich meinen persönlichen Ausgleich und halte mich fit.