Performante Teams wünschen sich alle – Unternehmen und Arbeitnehmende. Aber wie bekommt man solche Teams? Wir haben die Entscheidung der Teamzusammenstellung in die Hände der Menschen gelegt, die in diesen Teams nachher performant sein sollen, statt die Führungsebene entscheiden zu lassen. Lest selbst, wie wir das gestaltet haben und ob wir zu einem Ergebnis gekommen sind.

Als Agile Master bei der intersoft AG begleite ich Teams im Alltag, immer auf der Suche nach der aktuell besten Arbeitssituation für das Gesamtteam. Täglich erlebe ich dabei, dass die Menschen selbst ein gutes Gespür dafür haben, was sie brauchen, um effektiv, effizient und glücklich arbeiten zu können. Mit dieser Gewissheit führe ich als laterale Führungskraft die Teams kontinuierlich in Räume, in denen sie selbstverantwortlich arbeiten und sich entwickeln können. Als wir nach einer Reorganisation im Unternehmen neue Teams zusammenstellen mussten, haben wir auf eben diese Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung gesetzt. Aus meiner Sicht eine tolle und mutige Idee, die wir in die Tat umgesetzt haben.

Antje Scherffig, Agile MasterAntje Scherffig, Agile Master, intersoft AG

Vor der Self-Selection: Die Ausganssituation

Nach einer Neuorganisation der Abteilungsstrukturen ergab sich die Situation von zwei Teams mit sehr ungleicher Größe. Beide Teams bearbeiten den gleichen Value Stream des Unternehmens. Für ein einziges Team sind es aber zu viele Leute, vor allem bei agiler Softwareentwicklung. Daher mussten neuen Teamzusammensetzungen her – nur wie?

Traditionell werden Teamzusammenstellungen bei der intersoft durch Managemententscheid erstellt. Und auch dieses Mal gab es schon Ideen und Diskussionen in der Führungsebene, um die bestmögliche Teamzusammensetzung zu erarbeiten. Wir Agile Master schlugen vor, die Kompetenz der Mitarbeitenden als Grundlage für die Teamzusammenstellung zu nutzen, indem man eine Team Self-Selection durchführt. Die Idee dahinter ist, dass die betroffenen Menschen selbst am besten wissen und entscheiden können, mit welchen anderen Menschen sie effektiv, effizient und zufrieden ihren Arbeitsalltag gestalten.

Wir drei Agile Master in dem Bereich haben uns diesem Thema angenommen. Keiner von uns hatte so etwas schon mal selbst erlebt oder durchgeführt, aber es gab erste Erfahrungen im Unternehmen, die wir einholten. Und es gab den Kontakt zu Sandy Mamoli, die uns mit Material und Informationen sehr hilfreich zur Seite stand. So arbeiteten wir uns in die Methode ein und kamen zu dem Schluss, dass wir für unsere Situation und unsere Mannschaft eine Self-Selection als eine lohnenswerte Option für die Teamerstellung einschätzten. Jetzt musste die oberste Führungsebene informiert und überzeugt werden. Und wir brauchten glasklare Bedingungen, unter denen diese Personalentscheidung durch die Mitarbeitenden gefällt werden konnte.

Definition Self-Selection oder Self-Selection Process; Quelle: 20240912 https://api.businessagility.institute/storage/files/download-library/self-selection-on-a-page.pdf

Was musste geschehen, bevor die Self-Selection Realität werden konnte?

  • Mandat von oberer Führungsebene und Vorstand
  • Klarheit über Rahmenbedingungen für die Self-Selection, auch freigegeben durch die Führungsebenen
  • Entscheidung der Mitarbeitenden, ob sie eine Self-Selection oder ein Managemententscheid bevorzugen

Nachdem Vorstand und obere Führungsebene der Idee einer Team Self-Selection als Möglichkeit zugestimmt hatten, wurden die einzuhaltenden Rahmenbedingungen erarbeitet. Hierzu haben die Agile Master mit der Abteilungsleitung die Rahmenbedingungen diskutiert und formuliert. Diese wurden (nach mehreren Runden von Diskussion, Überlegungen und Ausarbeitung) vom Vorstand freigegeben. Damit war der einzuhaltende Rahmen gesetzt und das explizite Mandat für eine Self-Selection der Mitarbeitenden gegeben.

Folgende Rahmenbedingungen sind für die Teamfindung einzuhalten:

  • Das Team ist eigenständig lieferfähig für Produktthemen
  • Jedes Team ist in der Lage, Ausfallrisiken zu puffern
  • Jedes Team hat annähernd die gleiche Größe

Mit diesen Rahmenbedingungen folgte eine Abfrage aller betroffenen Mitarbeitenden mit zwei Optionen: Durchführen der Team Self-Selection mit den genannten Rahmenbedingungen oder Aufteilen der Mannschaft durch eine Managemententscheidung. Ein einfacher Mehrheitsentscheid wurde festgelegt und die Option der Self-Selection wurde gewählt. Hier gilt es zwei Mal laut Danke zu sagen: Danke an die gesamte Führungsebene der intersoft AG für das Vertrauen in die Agile Master und die Belegschaft für diese andere Art der Teamzusammenstellung. Und Danke an alle Beteiligten für den Mut und das Ausprobieren dieses neuen Weges!

Vorbereitung der eigentlichen Self-Selection

Jetzt ging es in die Vorbereitung der Self-Selection, und es ging auch daran, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Menschen sich aus ihren alten Teamkonstellationen verabschieden konnten, um dann frei in neue Zusammensetzungen zu starten.

Zunächst verabschieden – Team Adjourning haben wir es genannt: Frühstück mit allen Teams zusammen, dann eine Phase von zwei Stunden in den Altteams – Teamräume entrümpeln, alle Deko, alle Projektpläne etc. von den Wänden nehmen, bisherige Arbeitsplätze freiräumen, alles Material zurück ins Materiallager und dann noch eine kurze Phase des Abschieds. Wir Agile Master hatten für jedes Teammitglied individuelle Postkarten entwickelt, in denen ihr Vorname mit Adjektiven dargestellt war, die ihre Person ausmachen. Diese Karten wurden in den Teams vorgelesen und verteilt. Dann war der Vormittag schon um und es gab ein Mittagessen außerhalb der Büroräume. Die Agile Master haben derweil den Raum für die Self-Selection vorbereitet.

Team Self-Selection – Wenn Mitarbeitende ihr Team selbst wählen

Durchführung der Self-Selection

Das Self-Selection Event wurde mit einer kleinen Warmup-Runde mit der Methode „Wetterbericht“ begonnen: Das gefühlte Wetter im Raum war ziemlich bewölkt und nebelig. Dann haben wir das Vorgehen genau erläutert, die Rahmenbedingungen erneut benannt und vor allem viel Platz für Fragen und Diskussionen gelassen. Danach haben die zwei Product Owner (PO), die die neuen Teams parallel mit Themen versorgen werden, gepitcht, was ihnen an neuen Teams wichtig ist, welche Themen sie in der näheren Zukunft sehen und wie sie sich eine Zusammenarbeit erhoffen. Als nächstes haben wir drei Agile Master uns kurz vorgestellt und gesagt, wo wir unsere Stärken sehen – immerhin waren wir Teil der Self-Selection, da sich jedes neue Team einen der Agile Master zuordnen sollte. Hier sind wir von der ursprünglichen Methode abgewichen, bei der sich die Teams zu den POs und ihrem thematischen Schwerpunkt zuordnen.

Und dann ging es richtig los: drei Runden der Selection (mindestens) zu je sieben Minuten und einer Phase der Überprüfung des Ergebnisses.

Alle nahmen sich die Avatarkarten vom Vormittag, es gab ausreichend leere Metaplanwände im Raum verteilt und die Leute pinnten sich in Gruppen an diese Wände. Die erste Runde war schnell vorbei, es folgte eine Ansicht der Ergebnisse im Plenum und die Überprüfung, ob die vorgegebenen Rahmenbedingungen eingehalten wurden. In unserem Fall hatten sich drei Teams erstellt und die Bedingungen waren recht gut eingehalten. Mit diesem ersten Ergebnis ging es in die zweite Selection-Runde – nach sieben Minuten hatten wir zwei ungleich große Teams und durchaus Diskussionsbedarf im Raum. Hierfür war Raum eingeplant. Auch hatten wir, da wir Agile Master ja mehrere Positionen im Bezug auf die Teams innehaben, zwei wirklich externe Beobachterinnen im Raum, die diese doch recht emotionale Diskussion rund um Teamkonstellationen souverän geleitet und zu einem guten Punkt gebracht haben. Somit war dann der Raum bereitet für die dritte Selection.

In der dritten Runde entstanden drei Teams und nach Überprüfung der Rahmenbedingungen und unter Beachtung der vorhergegangenen Diskussion war bald Konsens im Raum, dass diese drei Teams ein Ergebnis darstellen, dass in der Praxis erprobt werden sollte. So hatten wir nach einem vollen Tag gemeinsamer Arbeit und drei Runden Team Self-Selection drei neue Teams mit zugehörigen Agile Mastern gefunden. Den Tagesabschluss nutzten wir, um als erste Amtshandlung der neuen Teams Teamnamen festzulegen und Fotos zu machen.

Schematische Darstellung des Raumes nach Mamoli; Quelle: 20240912

Unsere Lessons Learned mit Ausblick in die Zukunft

Was für ein spannender Tag! Wir saßen nach getaner Arbeit zusammen, etwas müde, aber geflasht von der tollen Arbeit jedes und jeder Einzelnen. Was hatten wir da erlebt? Die Kompetenz von Menschen, selbst zu wissen, in welchen Konstellationen sie gut arbeiten können. Die Offenheit und den Mut, die Verantwortung für sich selbst und eine Teamkonstellation zu übernehmen. Dass neutrale Beobachterinnen ein wichtiges Element in unserem Setup waren, um den Raum für Diskussionen halten zu können und zu einem guten Ergebnis zu führen. Die eigentliche Arbeit – aus den neuen Teams auf dem Papier nun tolle, funktionierende und effiziente Teams zu formen – die steht noch aus. Sie fängt am Tag nach der Self-Selection an.

Gern berichten wir, wie es uns und den neuen Teams in den nächsten Monaten ergeht und wie sich die Teamentwicklung gestaltet – nach einigen Monaten rückblickend wieder an dieser Stelle.

Antje Scherffig, Agile Master

Über die Autorin:

Ich bin Antje und seit 10 Monaten bei der intersoft AG als Agile Master tätig. Ich kann offiziell weder IT noch Versicherungen, sondern bin studierte Kultur- und Sprachwissenschaftlerin. Allerdings schlägt mein Herz beruflich schon seit 2006 für die IT. Seitdem arbeite ich in diesem volatilen, beweglichen und offenen Umfeld – als Rolloutmanager, Kundenbetreuung, Projektmanagerin (mit Zertifizierung nach GPM / IPMA) von IT-Großprojekten und als IT-Beraterin. Ich bediene dabei immer Schnittstellen, meist zwischen Endkunden und Nutzern auf der einen und den technischen Superhirnen auf der anderen Seite, und sorge für eine erfolgreiche Kommunikation und Zusammenarbeit (für mich eindeutig auch eine Form von Übersetzungsarbeit und Kulturverständigung). 2017 entscheide ich mich für eine Weiterbildung zum Scrum Master und finde Liebe auf den ersten Blick in diesem Framework. Seitdem ergreife ich jede Gelegenheit, agile Methoden und Frameworks dort zum Einsatz zu bringen, wo sie einen Mehrwert schaffen können. Sechs Jahre habe ich dies zuletzt bei der Lufthansa Technik AG machen dürfen – im IT-Kontext, aber auch außerhalb davon. Aktuell stelle ich all meine Erfahrung und Methodenkompetenz in die kontinuierliche Begleitung von Entwicklungsteams bei der intersoft AG und lerne weiterhin jeden Tag Neues dazu.

Ich stamme aus dem Ruhrpott, bin aber schon zum Studium nach Hamburg gezogen. Hier lebe ich mit meinem Mann und unseren zwei Kindern ganz im Westen (wieder) und genieße Garten, Bücher und eine spannende Partie American Football, wann immer der Alltag das zulässt. Als Ausgleich zum Bürojob halte ich mich mit Fahrradfahren und Fitness einigermaßen im Lot.