Kanban ist eine evolutionäre Change-Management-Methode. Sie bietet die Möglichkeit, Schritt für Schritt zu lernen und zu erkennen, wo das Problem liegt. Damit schafft sie einen Rahmen zur kontinuierlichen Verbesserung. Statt ständig neue Aufgaben zu beginnen, liegt der Fokus darauf, angefangene Arbeiten zu beenden – ganz nach dem Kanban-Prinzip „Stop starting, start finishing.“
Bevor ich hier bei intersoft meinen Platz gefunden habe, habe ich in meiner beruflichen Laufbahn als akkreditierte Kanban Trainerin, Kanban Coaching Professional und Kanban Management Professional gearbeitet. Kanban bietet in vielen Fällen (insbesondere auch in Fällen, in denen nicht programmiert wird) Lösungsansätze, die Scrum in erster Instanz nicht bieten kann. In diesem Artikel gehe ich auf die zentralsten Eigenschaften von Kanban etwas näher ein.

Kanban ist seit Jahren eine beliebte Methode in Organisationen. Es hilft, Prozesse zu visualisieren und in kurzen Iterationszyklen zu optimieren. Es lässt uns erkennen, wo die Probleme liegen und bietet Möglichkeiten, diese zu ändern. Kanban enthält Kaizen als festen Bestandteil und somit eine Kultur des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (siehe Infokasten unten).
Ein weiterer zentraler Bestandteil ist die Einführung einer Begrenzung der in Arbeit befindlichen Aufgaben, die sogenannten WIP (Work in Progress)-Limits. Diese sorgen für den nötigen Fokus, damit es vorangeht. Doch keine Angst, schon ein Kanban ohne WIP-Limits kann weiterhelfen. Diese sollten im Laufe der Zeit allerdings Einzug halten, sonst bleiben wir beim Proto-Kanban.
Es gibt sechs Prinzipien und sechs Praktiken, auf denen Kanban aufbaut. Um zu erklären, was Kanban ideal für das Change-Management macht, schauen wir uns die folgenden vier von sechs Prinzipien genauer an:
- Prinzip 1: Beginne mit dem, was Du jetzt tust.
- Prinzip 2: Vereinbare durch evolutionäre Veränderungen, eine Verbesserung anzustreben.
- Praktik 5: Feedback-Schleifen einführen.
- Praktik 6: Gemeinsam verbessern, experimentell weiterentwickeln.
So funktioniert Kaizen in Kanban
Wir bilden das ab, was und wie wir es gerade tun (Prinzip 1). Danach unterhalten wir uns gemeinsam regelmäßig im Stand-up vorwiegend über Blockaden, messen Durchlaufzeiten (Prinzip 2) und unterhalten uns ein- bis zweimal monatlich in einer Retrospektive (Praktik 5) darüber, zu welchen Problemen es seit der vergangenen Retrospektive gekommen ist.
In der Retrospektive beleuchten wir die Gründe dieser Probleme und diskutieren die „gewinnbringendste“ Veränderung, die uns helfen würde, dieses Problem zu beheben. Wenn die Lösung nicht offensichtlich ist, führen wir probeweise einen Lösungsansatz in Form eines kleinen Experiments ein und schauen in der nächsten Retrospektive, ob dieser Erfolg gebracht hat. Wenn ja, wird dieser beibehalten, wenn nein, wieder zurückgerollt (Praktik 6). Hier ist darauf zu achten, dass Experimente klar und eindeutig definiert und beschrieben sind. Alte, verirrte oder verwaiste Experimente nerven und führen die Idee ad absurdum. Daher: kurz und knapp beschreiben und nachhalten ist die Devise!
Wir können also sehr schnell sehen ob wir Kanban machen oder nicht, denn nur was sich immer wieder verändert ist Kanban. So passen wir ein existierendes System nach und nach an eine andere oder neue Umwelt an.
Wenn Kanban in die DNA des Systems übergegangen ist, dann ergibt sich daraus der Effekt, dass dieses System sich automatisch und kontinuierlich an sich verändernde Umwelten anpasst. Genau das ist Evolution.
Iteratives Vorgehen
Kanban als Change-Methode macht überall dort Sinn, wo iterativ vorgegangen werden kann. Das ist häufiger, als man vermutet. Natürlich möchte man zum Beispiel bei lebenserhaltenden Maschinen auf der Intensivstation keine „Experimente“ machen. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass nicht alle Intensivstationen eines Krankenhauskonzerns gleichzeitig auf eine neue Technik umgestellt werden, sondern in einer Station angefangen und dort dazu Erfahrung gesammelt wird. Auf Basis dieser Erfahrung wird dann eine zweite Station noch besser angepasst. Es wird also nicht für alle Stationen vorab geplant, sondern die initiale Planung bleibt schlank.
So könnte zwar eine Preisreduktion durch eine Großabnahme verloren gehen, allerdings ist die Möglichkeit einer Fehlplanung bzw. Fehlanpassung gering. Viele Change-Projekte werden entweder nie implementiert oder zurückgerollt. Und wenn es eine große Implementierung war, ist der Schaden und die Frustration immens.
Wir setzen uns daher nicht zwei Jahre zum Theoretisieren hin, sondern theoretisieren so viel wie nötig, um den ersten Schritt zu machen, Erkenntnisse zu sammeln und anschließend den zweiten Schritt zu planen.
Oftmals treten dadurch ganz neue Aspekte auf, die zuvor unsichtbar waren oder das Umfeld überrascht uns mit neuen Möglichkeiten oder technischen Errungenschaften.
Überall dort allerdings, wo ein experimentelles Vorgehen absolut unmöglich ist, wird Kanban nicht voll zum Zuge kommen können.
Die gesamte Wertschöpfungskette im Blick
Die Kerneigenschaften (Prinzipien und Praktiken) von Kanban sind recht breit formuliert und geben keine Auskunft darüber, wo im Unternehmenskontext sich Kanban einbetten lässt. Trotzdem gibt es häufig den Irrtum, dass Kanban ein agiler Ansatz zur Team-Optimierung sei. Es kann durchaus auf Team-Ebene eingesetzt werden, es hat jedoch stets die gesamte Wertschöpfungskette im Blick. Um eine bessere Orientierung zu liefern, wo im Unternehmen Kanban eingesetzt werden kann, wurde das Modell der Flight Level entwickelt.
- Flight Level 1 – Operative Ebene
- Flight Level 2 – Koordination
- Flight Level 3 – Strategisches (Portfolio-)Management
Mit den drei Flight Levels ist es möglich, Kanban über die komplette Organisation zu skalieren und so das gesamte System dem evolutionären Wandel zu unterziehen.
Vertrauen schaffen
Veränderung hat sehr viel mit einem Sicherheitsbedürfnis zu tun und dies ist ein persönliches Bedürfnis. In Systemen, in denen viele Menschen mit einem höheren Sicherheitsbedürfnis agieren, können Experimente ein sehr hilfreiches Mittel sein. Einen Schritt zu tun, von dem man weiß, dass er nach Implementierung kaum Chancen hat, wieder zurückgenommen zu werden, wird für einen sicherheitsbedürftigen Menschen Anlass zur Sorge sein. Ist der Schritt allerdings klein und als Experiment angelegt, ist die Implementierung vom erfolgreichen Ausgang des Experiments abhängig.
So haben die Kolleginnen und Kollegen die Sicherheit, dass nichts implementiert wird, was die Situation nicht verbessert. Das schafft Vertrauen.
Weiterhin wird nicht zu Anfang ein riesiges Konzept erarbeitet, was sehr viel gleichzeitig ändert. Das gibt den Menschen die Möglichkeit, mit der Veränderung mitzukommen und sich daran zu gewöhnen. Deswegen beginnt Kanban dort, wo wir aktuell sind: „Start where you are“ und geht in kleinen iterativen Schritten voran.
Als Kanban Coach wird man in den Retrospektiven oft gefragt, was denn ein vernünftiger nächster Schritt sein könnte. Das ist nicht immer einfach, denn werden die „falschen“ Schritte vorgeschlagen, also Schritte, die nicht dem Reifegrad des Systems entsprechen, werden Menschen überfordert und Vertrauen zerstört. Um zu erkennen, wo sich ein System im Reifegrad befindet, bringt Kanban das Kanban Maturity Model (KMM) mit, mit Hilfe dessen wir nicht nur den Reifegrad herausfinden, sondern auch sinnvolle von unsinnigen nächsten Schritten unterscheiden können.
Soll ich das machen?
Das kann ich natürlich nicht beantworten. Kanban bringt nur wenig mit, denn Kanban ist kein Framework wie z. B. Scrum. Wer Scrum nutzt kennt das: Ob ich besser werde oder nicht, erfahre ich aus den Messungen. Es geht dort viel um Storypoints, Velocity, Sprints und Planning. All das bringt Kanban nicht mit. Oh wie schön, keine Planung, keine Menge, die ich zusage, kein Schätzen und kein Sprintzeitraum – kein Overhead! 😉
Genau, nur Prinzipien und Praktiken bringt Kanban mit. Das bedeutet, aus diesen Einzelteilen wird nun ein eigenes Ruleset gestrickt (siehe Infokasten: Prinzip 6 und Praktik 4). Das ist viel und vor allem kontinuierliche Arbeit und damit Diskussion – am Anfang ist kaum etwas da und nach und nach haben wir unser eigenes genau angepasstes (und sich immer wieder anpassendes) Ruleset.
Wer diese Arbeit nicht investieren möchte oder eine Gruppe hat, die sich weder kontinuierlich einigen möchte noch kann, sollte es vermutlich besser lassen. Vielleicht ist ein fertiges Ruleset oder Framework dann besser. Wer sich nun allerdings denkt, dass dies ein guter Ansatz für ein System sein könnte, fragt sich vielleicht, wie ich messen soll, ob ich besser werde – ohne Schätzen, ohne Planen und ohne Sprintzeitraum. Da sage ich: Durchlaufzeit! Und darüber werde ich ein anderes Mal schreiben.
Infobox – Die wichtigsten Kanban-Elemente
Kanban-Board
Die Aufgabe des Kanban-Boards ist es, alle Aufgaben in einem Arbeitsprozess zu visualisieren. So wird für Transparenz gesorgt. Kanban-Boards ermöglichen Teams einen klaren Überblick über alle Arbeitselemente. So können die verschiedenen Phasen des Workflows gesteuert werden. Es ist irrelevant, was abgebildet wird – ob Softwareentwicklung, Firmenstrategien, Innovationen oder die Digitalisierung des Unternehmens.
Kaizen
Kaizen ist das japanische Wort für „kontinuierliche Verbesserung“. Es hat sich in der Geschäftswelt Japans nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt und beschreibt eine Unternehmenspraxis zur Verbesserung von Prozessen und zur Beseitigung von Ausschuss jeglicher Art. Kanban enthält Kaizen als festen Bestandteil und somit eine Kultur des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, gibt aber keine detaillierten Vorgehensweisen hierfür vor. In vielen Kanban-Teams haben sich aber mindestens die Praktiken Stand-ups und Retrospektiven etabliert.
Kanban kommt schlank daher und bringt nur wenige Prinzipien und Praktiken mit. Das eröffnet die Möglichkeit, Kanban in nahezu alle Systeme zu integrieren.
Kanban-Prinzipien
- Beginne mit dem, was Du jetzt tust
- Vereinbare durch evolutionäre Veränderungen, eine Verbesserung anzustreben
- Ermutige zu Führungsverantwortung auf allen Ebenen
- Konzentriere Dich auf den Kunden
- Verwalte nur die Arbeit, lass die Leute sich selbst organisieren
- Finde Richtlinien, die die Bereitstellung der Dienste steuern
Kanban-Praktiken
- Visualisieren
- WIP-Limits festlegen
- Flow managen
- Richtlinien explizit ausformulieren
- Feedback-Schleifen einführen
- Gemeinsam verbessern, experimentell weiterentwickeln
Retrospektive
Um die „Übergabe des Staffelstabs“ so reibungsfrei wie möglich zu gestalten, damit das Team bzw. die Firma Erfolg hat, nutzen wir Kaizen in Form einer Retrospektive. Dabei lernen wir aus vergangenen Fehlern und finden den nächsten sinnvollen Schritt, um das System noch besser anzupassen.
- Intro: Begrüßung, Klärung der Ziele der Retrospektive, Ankommen.
- Daten sammeln: Was ist seit der vergangenen Retrospektive passiert?
Was war gut? Was war schlecht? Haben wir dazu etwas gemessen oder andere harten Daten über Qualität oder Produktivität?
- Einsichten gewinnen: Warum ist das so? Hier gewinnen wir Tiefe und versuchen zu verstehen, warum ein Problem da ist.
- Maßnahmen beschließen: Was wollen wir konkret ändern, wie wollen wir das ändern und wer übernimmt was bis wann?
- Abschluss: Hier wird die Retrospektive selbst beleuchtet. Mit welchem Gefühl gehen die Leute aus der Retrospektive, war die Zeit sinnvoll investiert und was machen wir beim nächsten Mal anders? So werden auch die Retrospektiven nach und nach dem Umfeld angepasst.
Stand-Up
Ein Stand-up findet täglich, wöchentlich oder gar monatlich statt, je nachdem auf welchem Flight Level das Board genutzt wird. Das Stand-up konzentriert sich darauf, den Zeitaufwand für die Aufgaben in allen Phasen zu minimieren; das heißt, es geht, wenn nötig um die Änderung eines Status, nicht aber um den Status selbst. Vorwiegend wird ein Blick auf die Blockaden geworfen. Im Gegensatz zu dem Stand-up im Scrum iterieren die Kollegen und Kolleginnen nicht über die Personen, sondern über die Aufgaben. Denn Kanban interessiert nicht, dass die Leute etwas tun, sondern wann etwas getan wird. Daher fokussiert sich Kanban auf den „Staffelstab und nicht die Läufer
„Don’t get set into one form, adapt it and build your own, and let it grow, be like water.“

Über die Autorin:
Ich heiße Gina, lebe seit über 30 Jahren in Hamburg und beschäftige mich mit agilen Arbeitsmethoden und Organisationsentwicklung. Ich bin akkreditierte Kanban-Trainerin der Lean Kanban University und habe im Laufe meiner beruflichen Laufbahn einigen Firmen bei der agilen Transition geholfen. Bei intersoft bin ich seit über 2 Jahren als PO tätig und wirke dabei während der alltäglichen Arbeit auf die agile Transformation ein.
Während und nach meinem Meteorologie-Studium habe ich am Max-Planck-Institut für Meteorologie gearbeitet, wo ich mit der Open Source Welt in Kontakt kam. Seit 2003 war ich diesbezüglich stark engagiert, Vize Präsident der TYPO3 Association, danach ein Neos-Core-Team-Member und Direktorin der Neos Foundation.
Privat liebe ich es, durch die Welt zu reisen, zu schwimmen und Kajak zu fahren. Ich bin Tauchlehrerin, GUE Höhlentaucherin und segle ab und zu auf einem Traditionsschiff namens Windsbraut.